restlaufzeit

Restlaufzeit von Hajo Schumacher

restlaufzeitWenn sich früher Rentner im Supermarkt an der Kasse vordrängten, wich ich schon mal mit dem Hinweis aus: „Bitte gehen Sie ruhig vor. Sie haben ja eine geringere Restlaufzeit als ich!“ In der Zwischenzeit habe ich ein Alter erreicht, das mit 50+, Junggebliebene, Generation Feierabend oder ähnlichen Ausdrücken belegt wird. Deshalb treffe ich immer weniger Menschen, die älter sind als ich, was die Möglichkeiten, sie mit dem Restlaufzeitspruch vorzuführen und mich über sie lustig zu machen, stark einschränkt. Ich ertappe mich immer öfter bei Gedanken, die sich mit dem Alter, der mir verbliebenen Lebenszeit auseinandersetzen. Noch habe ich gut 15 Arbeitsjahre vor mir, aber ich will mich jetzt schon damit auseinandersetzen, wie es mir gelingen kann, die mir noch geschenkten Jahre so zu gestalten, dass sie gut verlaufen.

Der Journalist Hajo Schuhmacher

Auch den Journalisten Hajo Schumacher hat seine Restlaufzeit beschäftigt, nachdem er 50 wurde. Anscheinend ist das die Zeit, in der sich Menschen zum ersten Mal ernsthaft mit dem Thema Alter auseinandersetzen. Hajo Schumacher arbeitete unter anderem als Chefredakteur der Lifestyle-Zeitschrift Max. Auch die Macher solcher Blätter reifen also dahin. Neben journalistischen Tätigkeiten gehen auch einige Bücher auf sein Konto. Über Roland Koch, die Fußballwelt, Hobbysport Laufen oder Angela Merkels Erfolgsgeheimnisse. Jetzt ein Buch über das Altern. Fürs Altern sind wir alle Spezialisten, denn keiner kann sich ihm entziehen und die Frage, was man für ein würdevolles Alter in der heutigen Gesellschaft tun muss oder kann, beunruhigt viele.

Hajo Schumacher näherte sich nach dem Umzug seiner Mutter in ein Pflegeheim und ihren Tod in journalistischer Art dem Alter und recherchierte nicht nur in Deutschland, sondern auch in Polen und Thailand. Der gesundheitliche Fortschritt hat das Altern verändert, so eine erste Erkenntnis des Alterserforschers. Wir leben nicht nur länger, sondern können in bestimmtem Rahmen und abhängig von unserem Geldbeutel heute verschiedene Lebensmodell für den Lebensabend wählen: von der Rentner-Wohngemeinschaft über das Mehrgenerationenhaus bis hin zur Luxusresidenz. Zugleich ehrlich und witzig kommen bei Hajo Schumacher die verschiedenen Möglichkeiten nach Kriterien wie Bequemlichkeit, Risiko oder Kosten auf den Prüfstand, angereichert mit Tipps und Adressen. Der leidenschaftliche Läufer Hajo Schumacher, der als Dauerläufer „Achim Achilles“ auf spiegel.de schreibt, wirbt natürlich gerade bei Angehörigen fortgeschrittenen Alters für Sport. Angeblich sei es für sportliche Betätigung nie zu spät. Seniorenlaufgruppen ersparten Einsamkeit und hielten körperlich wie geistig fit. Sportliche ältere Menschen bräuchten nicht in Ärztewartezimmern ihre Leidensgeschichten auszubreiten.

Lernfach Altern

Ich habe durch das Buch gelernt, dass Altern nicht gleich Armut, Dahinsiechen, Demenz oder den Verlust von Selbstbestimmung bedeuten muss – wenn man frühzeitig die richtigen Weichen stellt und nicht zuwartet, bis das Kind in den sprichwörtlichen Brunnen gefallen ist. Denn nach dem Motto Forever young zu leben, hilft nicht weiter. Irgendwann ist es aus damit und man kann seinem Alter nicht mehr davonlaufen. Die Lebensphase Alter ist von Ängsten begleitet und es stellen sich Lebensaufgaben, die nicht jeder bewältigt, aber sie bietet auch einige Potenziale. Das zeigt Schumacher an Beispielen wie Mick Jagger oder Helmut Schmidt. Werte wie Aufgeschlossenheit, Nächstenliebe, Aufmerksamkeit, Bescheidenheit oder Spiritualität können helfen, die Herausforderungen des Alters zu bewältigen. 2030 sollen etwa vier Millionen Menschen pflegebedürftig sein – bei gleichzeitigem Fehlen von Hunderttausenden Pflegekräften. Angesichts dieser Zahlen ist Schumachers Buch nicht nur hochaktuell, sondern auch eine Hilfe, über persönliche Alternativen zum Pflegenotstand in Deutschland nachzudenken. Damit wir auch als alte Menschen gut drauf bleiben.

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Das Lesen von Restlaufzeit war für mich ein Stück weit Selbsttherapie, ein bisschen mehr Mut zum Altern habe ich jetzt. Ich würde es mal so formulieren: Wenn ich das Altern früh beginne zu praktizieren, kann es durchaus klappen. Jedenfalls pflege ich meine Alterspanik jetzt etwas gelassener. Ich blicke dem Altern ins Gesicht und es verliert etwas von seinem Schrecken. Und ich habe mit mir einen Pakt geschlossen: Fachaufsätze über Inkontinenz, Demenz und andere Schrecken lasse ich ungelesen verschimmeln, wo sie mir begegnen. Stattdessen lese ich Reisemagazine oder Hobbyhefte. Gerade habe ich das Kreuzworträtsel wieder entdeckt. Wir leben in einer Phase des Jugendwahns, die Botox zum heiligen Sakrament gemacht hat und durch eine zunehmende Infantilisierung Menschen jenseits der Midlife-Crisis verdummt. Ein klein wenig versuche ich mich davon zu distanzieren, denn ich finde Großpapa, der sich in die gleichen Klamotten wie sein Enkel zwängt, lächerlich, peinlich. Darüber kann ich nach Restlaufzeit einfach nur noch lachen. Je gelassener ich lebe, desto mehr Lebensqualität gewinne ich. Wenn ich mich im Alter etwas einschränken muss und nicht alle paar Wochen auf Kreuzfahrt gehen kann: Der Sinn meines Lebens ist das nicht. Auch ohne die Schlachten am Buffet werde ich zufrieden sein. Ich entwickle mich dank Restlaufzeit zum kreativen Lebenskünstler, denn Neugier und Interessen, früher Hobbies genannt, sind die Formel für ein Alter, vor dem ich keine Angst zu haben brauche. Oder nur noch wenig.