Stichwort Taschenbuch

Aus Frage-Antwort-Portalen wie Helpster, Yahoo Clever oder gutefrage finde ich regelmäßig die Frage: Was ist ein Taschenbuch? Oder was ist ein Paperback? Ist eine Broschur auch ein Taschenbuch? Die Antworten darauf zeugen von mehr oder minder tiefem Wissen zur Buchherstellung oder der buchhändlerischen Verwertungskette. Wiktionary meint, ein Taschenbuch sei ein kleinformatiges Buch mit „gewöhnlich weichem Einband“ und charakterisiert das Taschenbuch als Wortzusammensetzung besonderer Art. Der erste Teil kommt von Tasche und beschreibt den zweiten Teil Buch einschränkend, determiniert ihn. Deshalb ist das Wort Taschenbuch ein Determinativkompositum. Auf Wiktionary erfahre ich weiter, dass Taschenbücher gewöhnlich etwas preisgünstiger sind als andere Bücher und im Englischen von Paperback oder Pocketbook die Rede ist. Das Digitale Wörterbuch der deutschen Sprache unterscheidet zwei Bedeutungsvarianten des Begriffs. Danach kann ein Taschenbuch einmal ein Buch in obigem Sinn sein, andererseits ein Buch, das ein Thema umfassend, aber knapp darstellt („Taschenbuch der Elektrotechnik“, „Statistisches Taschenbuch für Deutschland“). Diese zweite Form des „Taschenbuchs“ kann – buchherstellerisch gesprochen – sogar fest gebunden sein, was das „eigentliche“ Taschenbuch von der Buchherstellung aus betrachtet, nicht ist. Nur das kleinformatig verstandene Taschenbuch soll hier im Fokus stehen.

Was macht ein Taschenbuch aus?

Das Taschenbuch ist nicht nur kleinformatig, sondern hat auch eine besondere Form des Einbandes, nämlich einen aus dünnem Karton oder dickem Papier, jedenfalls keinen harten Einband wie das so genannte gebundene Bücher haben, auch Hardcover genannt, abgekürzt HC. Die Seiten werden beim Taschenbuch nicht geheftet oder mit dünnen Fäden verbunden und dann noch verleimt, sondern sie werden nur geklebt (Klebebindung). Das ist ein sehr billiges Verfahren und es ist erstaunlich, wie wenig ein Taschenbuch in der Herstellung kostet, wenn die Auflagen entsprechend hoch sind. Je höher die Auflagen eines Buches, desto geringer der Herstellungspreis. So ist das Taschenbuch ein Buch für die Massen geworden.

Eine kleine Geschichte des Taschenbuchs

Wenn man will, kann man schon manche antiken christlichen Schriften als Taschenbücher bezeichnen, die aus der Zeit der Christenverfolgung stammen. Diese Schriften waren oft nur wenige Zentimeter groß, damit sie nicht entdeckt wurden. Mittelalterlicher Vorläufer des Taschenbuchs war das Beutelbuch, das im Beutel eingewickelt transportiert oder am Gürtel befestigt werden konnte. Im 18. Jahrhundert richteten sich Almanache an Frauen des Bildungsbürgertums („Taschenbücher für Frauenzimmer“), für die selbst Goethe und Schiller schrieben. Mit den Reclam-Taschenbüchern, deren erste Titel in der Mitte des 19. Jahrhunderts erschienen, nähern wir uns stark dem, was wir heute unter einem Taschenbuch verstehen. Allerdings wurden auch andere Buchreihen als Taschenbücher bezeichnet, nämlich nützliche kleinformatige Bücher, die neben Kalender und genealogischen Nachrichten viele weitere praktische Hilfen oder Anweisungen beinhalteten. Diese Form des Buches war das, was heute Smartphones mit hilfreichen Apps sind. Und noch etwas: Was wir heute unter den Begriff Jahrbücher subsummieren, bezeichnete man im 19. Jahrhundert ebenfalls als Taschenbuch.

Ende des 19. Jahrhunderts druckten innovative Verlage immer mehr preisgünstige Bücher oder Hefte für breite Leserkreise. Vor allem britische Verlage waren damals die Wegbereiter des modernen Taschenbuchs und der deutsche Ullstein Verlag eiferte ihnen zu Beginn des 20. Jahrhunderts nach. Anfänglich druckten die deutschen Verlage noch fadengeheftete Bücher, während sie schon auf den harten Umschlag verzichteten. Der Oscar Brandstetter Verlag in der damaligen Buchmetropole Leipzig brachte die ersten deutschen Taschenbücher, wie wir sie heute kennen, auf den Buchmarkt, preisgünstige Bücher mit farbigen Umschlägen aus Karton. Ende der 1930er Jahre perfektionierten in Deutschland die Verlage Scherz und Goldmann die Taschenbuchproduktion, doch den endgültigen Durchbruch des Taschenbuchs erlebten die Deutschen erst nach dem Zweiten Weltkrieg, als der Rowohlt Verlag auf Zeitungspapier im Rotationsverfahren begann die Rowohlts-Rotations-Romane (rororo) zu drucken. 1950 erschienen ebenfalls bei Rowohlt die ersten Taschenbücher mit den heute noch annähernd gültigen Maßen von 11 x 18 Zentimeter. Jetzt setzte sich die Klebebindung auf ganzer Linie durch, weil Emil Lumbeck das Verfahren „Lumbecken“ erfand (aufgeraute Buchblöcke werden an den Buchrücken geklebt). Allerdings blieben selbst diese Taschenbücher noch bis 1961 rückseitig mit einem Leinenband beklebt. So lange dauerte der Abschied vom Leinenrücken des gebundenen Buches!

Das Taschenbuch in der bisherigen Verwertungskette

Nach und nach stiegen immer mehr Verlage in die Taschenbuch-Produktion ein und es entwickelte sich eine Verwertungskette der Buchinhalte, die zum Teil noch heute Bestand hat. Zuerst erscheint in einem so genannten Originalverlag das Hardcover, also die fest gebundene Ausgabe eines Werks. Dieses Buch soll die Investitionen in den Inhalt und die Herstellung einspielen und für Gewinne des Verlags sorgen. Erst geraume Zeit später vergibt ein Verlag vom Hardcover eventuell die Lizenz an einen Taschenbuchverlag oder lässt die eigene Taschenbuchabteilung das Buch als Taschenbuchausgabe drucken. Der Verlag druckt das Hardcover jedoch so lange nach, als Nachfrage nach dem gebundenen Buch besteht. Erst wenn die Nachfrage nach dem gebundenen Buch nachlässt, denkt ein Verlag an einen Druck im Taschenbuch. Weil das Taschenbuch viel günstiger ist als das Hardcover, kann das Taschenbuch den Verkauf des Titels noch einmal beflügeln, selbst wenn die Gewinne dabei schmelzen.

Die Digitalisierung als Bedrohung des Taschenbuchs

Durch die Digitalisierung wandelt sich diese Verwertungskette im deutschen Buchhandel. Schon in den letzten Jahrzehnten gründeten sich reine Taschenbuchverlage, die einen Titel nicht mehr als Hardcover herausgaben, sondern nur noch als Taschenbuch, um durch den niedrigen Preis breite Lesergruppen anzusprechen. Seit Jahren befördert die Digitalisierung den Wandel der Verwertungskette. E-Books und E-Book-Reader geben Verlagen heute die Möglichkeit an die Hand, statt Taschenbücher zu drucken Inhalte kostengünstig auf Servern zu lagern und über E-Book-Plattformen zu vertreiben. Als E-Book bleibt ein Titel „ewig“ lieferbar und die Lagerungskosten entfallen fast. Das Risiko ist gegenüber einer Taschenbuch-Druckauflage minimal. Nur wenn sicher davon ausgegangen werden kann, dass sich ein Buchtitel in großer Zahl nach dem Auslaufen eines Hardcovers verkaufen wird, erwägt der heutige Verlag noch den Druck eines Taschenbuchs.

Reine E-Book-Verlage überspringen nicht nur die Verwertungsstufe des Hardcovers, sondern auch die des Taschenbuchs und veröffentlichen ein Manuskript nur noch digital. Die Herstellung eines solchen Buches ist nicht ganz so aufwändig wie die eines Buches, aber immer noch ein ernst zu nehmender Kostenfaktor. Gespart werden kann vor allem an den Druckkosten. Da aber immer mehr Autoren als so genannte Selfpublisher in „Heimarbeit“ ihre Bücher unter Ausschaltung der Verlage veröffentlichen, erfasst der Wandel der Verwertungskette auch die Verlage und stellt ihre bisherige Funktion teilweise in Frage. Das aber ist ein spannendes neues Thema für unsere Reihe Buchwissen, das ich in einem eigenen Blog angehen will.